Wie laut ist eigentlich Musik?
- Dr. Teresa Wenhart

- 31. Aug. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Aug.
Laut WHO sind 50% der 18-34 jährigen von durch Lärm bedingtem Hörverlust bedroht. Das Risiko für Noise induced hearing loss (NIHL) ist nicht nur von der Lautstärke sondern auch von der täglichen Dauer der Beschallung abhängig. Viele Profimusiker:innen überschreiten die gesetzlichen Grenzwerte schon durch das tägliche Üben, erst recht im Ensemble, der Band oder einem Symphonieorchester.
Lautstärke und Schallintensität
Wie laut ist eigentlich Musik? Jedes Instrument hat seine eigene Klangstärke, die in Dezibel (dB) gemessen werden kann. Dezibel ist eine logarithmische Einheit, die den relativen Unterschied zwischen zwei Lautstärken misst. Ein Anstieg um 3dB entspricht in etwa der Verdopplung der Schallintensität, d.h. wenn zwei Celli jeweils mit einer Schallintensität von 80dB spielen, dann ist die gesamte Schallintensität 83dB. Die wahrgenommene Lautstärke ist ein psychoakustisches Maß, das in "phon" gemessen wird und von der Frequenz abhängig ist. Eine Verdopplung der Schallintensität entspricht psychoakustisch nicht einer Verdopplung der Lautstärke. Das Lautstärke-Empfinden des menschlichen Ohrs folgt sogenannten Isophonen. Das sind Kennlinien, die gleiche Lautstärke bei unterschiedlichen Frequenzen und unterschiedlicher Schallintensität anzeigen. Menschen brauchen in tiefen Frequenzen deutlich höhere Pegel brauchen, um sie als gleich laut wie hohe Frequenzen wahrzunehmen.

Abbildung: Isophone sind Kennlinien gleicher Lautstärker der menschlichen Wahrnehmung.
Ein Ton bei 1 kHz (ungefähr ein c''') wird zum Beispiel bei einem Pegel von 80 dB SPL genauso laut empfunden, wie ein Ton bei 60 Hz (ein tiefes Cello C) bei etwas mehr als 90 dB SPL. Der Pegel des tiefen Tons ist jedoch bereits mehr als 8 mal so hoch, weil jede plus 3 dB SPL einer Verdopplung der Schallintensität entsprechen. Hohe Frequenzen werden unter anderem auch wegen dieser psychoakustischen Eigenschaft des Gehörs früher als zu laut bzw. schmerzhaft laut empfunden, als tiefe Frequenzen. Auch die Klangfarbe (z.B. wie schrill ein Ton ist), spielt dabei eine Rolle, wie unangenehm und zu laut man einen Ton empfindet. Menschen unterschätzen also besonders im tieffrequenten Bereich die Lautstärke.
Diese psychoakustische Lautstärke, die in den Isophonen erkennbar ist, wird in der A-Gewichtung der Schallintensität dB(A), wie sie oft in Lärmschutzmessungen verwendet wird, berücksichtigt.
Wie laut ist zu laut?
Die Lärmschutz-Verordnungen der meisten Länder unterscheiden sich kaum. Sowohl die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) als auch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) geben einen Grenzwert von 85 dB(A) als Dauerschallpegel für eine 40h Arbeitswoche an, sowie einen Spitzenpegel von 137 dB(C). Ab diesem Grenzwert muss der Arbeitgeber Lärmschutz-Massnahmen ergreifen.
Orientiert man sich an diesem Grenzwert schädlicher Schallexposition von <85dB(A) über maximal 8h am Tag kann man daraus ableiten, wie viel kürzer die maximale Arbeitszeit bei höheren Schallpegeln sein muss. Für jede 3dB(A) durchschnittlicher Pegel mehr halbiert sich die empfohlene maximale Expositionszeit, da sich die Schallintensität verdoppelt. Das heißt:
<85dB(A): maximal 8h am Tag
<88dB(A): maximal 4h am Tag
<91 dB(A): maximal 2h am Tag
<93 dB(A): maximal 1h am Tag
<95 dB(A): maximal 30 min am Tag
<98 dB8A): maximal 15 min am Tag
Je nachdem, wie laut das eigene Instrument ist, und wie häufig und lang man in grösseren Orchestern spielt, sollten Musiker:innen selbstständig Gehörschutz verwenden, um die Schallintensität zu verringern. Durch Gehörschutz reduziert sich nicht nur das Risiko durch plötzlich oder kurzfristig sehr lauter Schalle, sondern die maximale Expositionszeit wird entsprechend länger.
Siehe auch: "Gehörschutz für Musiker:innen" und "Top 5 Mythen um Gehörschutz bei Musikern"
Wie laut ist eigentlich Musik?
Klassische Musik, besonders in größeren Formationen wie im Orchester, mit lauten Instrumenten (Schlagzeug, Blechbläser, etc.) und in kleinen Räumen erreicht nicht selten Spitzenpegel von 120-135dB (A). Selbst wenn es nicht über die ganze Probe hinweg extrem laut ist, überschreiten auch die Durchschnittspegel oft die gesetzlichen Grenzwerte wenn man die Dauer der Arbeitszeit betrachtet. Eine großangelegte Studie der Freiburger Musikhochschule aus dem Jahr 2011 maß bei einer Probe des Musikhochschul-Orchesters mit romantischem Repertoire die Schallpegel mit Mikrophon nahe am Ohr der Musiker:innen. Die Messungen ergaben eine durchschnittliche Belastung (Dauerschallpegel) von 85,5 bis 93,9 dB (A) je nach Instrumentengruppe und überschritten damit an fast allen Messpunkten die gesetzlichen Grenzwerte, wenn man die Zeit der Schallexposition berücksichtigt. Je nach Studie kommt man für Orchestermusiker auf eine durchschnittliche Belastung von etwa 90 dB (A).
Lautstärken einzelner Musikinstrumente
Der Schalldruckpegel von Musikinstrumenten kann je nach Art des Instruments, der Spielweise, Entfernung zum Instrument und der Umgebung variieren. Hier ist eine grobe Übersicht über die Schätzung der Schalldruckpegel verschiedener Musikinstrumente:
Akustische Gitarre: 70-90 dB
Klavier (akustisch): 60-70 dB, Flügel: 70-80 dB
Geige: 82-93 dB, auf dem linken Ohr 3-6 dB mehr als auch dem rechten Ohr
Cello: 85-110 dB
Kontrabass: 90-105 dB
Querflöte: 85-115 dB, deutlich höhere Belastung des linken gegenüber dem rechten Ohr
Klarinette: 85-114 dB
Trompete: 90-130 dB
Saxophon: 85-115 dB
Schlagzeug: 90 bis >140dB
elektronische Instrumente: je nach Verstärkung >120 dB
Zum Vergleich typische Schallintensitäten von Alltagsgeräuschen
Flüstern: circa 20dB
Regentropfen: 50-60dB
Vogelgezwitscher: 40-70dB
normales Gespräch: ca. 60-70 dB
volles Restaurant: 70-80 dB
Straßenverkehr (innerstädtisch): 70-85 dB
Zug oder U-Bahn: 85-100 dB
Rockkonzert: 110 bis > 140 dB
Auch das Schützen des Gehörs im Alltag, insbesondere im Nahverkehr und auf Reisen, ist daher sehr wichtig für Musiker:innen.
Siehe auch: "Gehörschutz für Musiker:innen" und "Top 5 Mythen um Gehörschutz bei Musikern"
Quellen und weiterführende Literatur
Altenmüller, E., & Klöppel, R. (2015). Die Kunst des Musizierens: von den physiologischen und psychologischen Grundlagen zur Praxis. Schott Music
Richter, B., Zander, M., Hohmann, B., & Spahn, C. (2011). Gehörschutz bei Musikern. HNO, 59(6), 538-546.






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