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Mentaltraining für Musiker Teil II: Innere Muster wandeln – musikalisch und mental

Der zweite Teil von Mentaltraining für Musiker:innen vertieft die Arbeit an psychischen Mustern durch Übungen, die Emotion, Körper und Identität verbinden. Gestützt auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigt der Artikel, wie nachhaltige Veränderung durch wiederholte, korrigierende Erfahrungen entsteht. Drei kreative Methoden fördern Selbstreflexion, psychische Flexibilität und authentischen Ausdruck – für ein freieres Musikerleben auf der Bühne und im Alltag.


musikerin mit geige und selbstzweifeln, Mentaltraining für Musikerinnen


Nachdem du im ersten Teil deine psychischen Muster erkundet hast (siehe auch: Mentaltraining für Musiker I: Drei kraftvolle Übungen für mentale Stärke – und ein Blick hinter die Kulissen deiner Muster) und einfach Sofortmassnahmen gelernt hast, ist es Zeit für den nächsten Schritt: die schrittweise Umprogrammierung deines Gehirns hin zu adaptiveren Handlungs-Strategien und Denkweisen. Vielleicht hast du schon vieles über mentale Strategien wie „positives Denken“ gehört – hier geht es jedoch nicht um reine kurfristige Motivation durch solche Affirmationen, sondern um konkrete Strategien und Übungen, eigene Muster von Emotionen, Gedanken und Verhalten langfristig zu verändern.



Aus der Neurowissenschaft wissen wir: Unser Gehirn ist bis ins hohe Alter veränderbar. Das bezieht sich nicht nur auf kognitive oder musikalische Leistungen, sondern auch auf die psychologische Entwicklung. Dies nutzt man beispielsweise in der Schemaarbeit. Aber diese Veränderung braucht Zeit, viel Geduld und Energie und Wiederholung. Affirmationen allein reichen selten – es braucht tiefe Selbstreflexion und korrigierende Erfahrungen, die bestehende neuronale Bahnen herausfordern und neue Wege ermöglichen. Solche korrigierenden Erfahrungen können real z.B. durch positive Konzerterfahrungen oder durch inspirierende, unterstützende Mitmenschen in sozialen Situationen oder auch imaginativ durch das Selbstbewusstsein stärkende Übungen sein. Diese Übungen sind allesamt Favoriten meiner Klient:innen ;-).

Alle Übungen kannst du alleine in geschützem Rahmen ausprobieren!

Sei jedoch geduldig mit Dir, wenn es nicht gleich funktioniert oder du Schwierigkeiten hast, z.B. deine Gedanken oder Emotionen dabei zu beobachten. Das ist normal, denn da ein Grossteil unserer psychischen Prozesse unbewusst ablaufen, funktionieren solche Übungen unter Anleitung einer Psycholog:in besser (siehe auch: Coaching).



Erweitertes Mentaltraining für Musiker:innen


1. Der „Scheitern-als-Forschung“-Ansatz: Systematische Fehlerexpedition

Psychologischer Hintergrund: Perfektionismus ist oft eine Angst vor der eigenen Unvollkommenheit, die wir für inakzeptabel halten, und bei der wir teilweise sogar soziale Ausgrenzung befürchten. (Angst nicht gut genug zu sein, ohne Leistung nicht dazuzugehören, Zuneigung durch Familie oder Freunde nicht "verdient" zu haben).



Diesen Gefühlen kann man mit der "Scheitern-als-Forschung"-Übung auf den Grund gehen.


So funktioniert’s:

  • Wähle ein einfaches Stück, z.B. ein Kinderlied oder Weihnachtslied und spiele es absichtlich mit verschiedenen „Fehlern“.

  • Beobachte jeden Fehler wie ein:e Wissenschaftler:in: „Interessant! Wenn ich hier stolpere, denke ich/fühle ich…“.

  • Entwickle Kategorien: „Melodische Abweichungen“, „Rhythmische Experimente“, „Dynamische Überraschungen“.

  • Belohne dich für jeden neuen „Fehlertyp“ und beobachte, was das mit Dir macht

  • Für Fortgeschrittene: Nimm schwierige Stellen aus deinem Repertoir und spiele Sie bewusst falsch (andere Töne/Dynamik/Rhytmen, falsche Interpretation). Vergleiche schliesslich mit der "korrekten" Variante aber "erlaube" Dir, Fehler zu machen.


Besonders wichtig bei dieser Übung ist, dass Du beobachtest, was diese Übung in dir auslöst. Vielleicht Gedanken wie "Was, wenn ich es danach gar nicht mehr richtig spielen kann", "Was soll nur mein Lehrer/das Publikum denken, wenn ich..." oder Gefühle wie Angst, Trauer, Abneigung/Ekel oder aber Spass oder Unabhängigkeit? Welche früheren Erfahrungen oder Personen kommen Dir in den Sinn? Führe ein „Scheitern-Tagebuch“ mit deinen faszinierendsten Entdeckungen.


2. "Embodied Characters": Der Körper Anker für alternative Zustände

Psychologischer Hintergrund: Körper und Geist sind nach heutiger wissenschaftlicher Auffassung nicht trennbar (Embodiment). Unser Körper reagiert nicht nur im Moment auf unser psychisches Erleben, sondern speichert diese Erfahrungen auch in Körperschemata ab. Erlernte musikalische Hemmungen ("ich muss es richtig machen", "ich darf keine Fehler machen") sind oft auch körperlich „eingefroren“ und bereits bei Erinnerung an vergangene Bühnenerlebnisse stellen sich ähnliche Körperempfindungen wieder ein.


Daran kann man mit Techniken aus der Körperpsychotherapie arbeiten:

So funktioniert’s:

  • Wenn Nervosität aufkommt, gehe nicht dagegen an, sondern hinein. Versuche, wie ein unabhängiger Beobachter

  • Übertreibe bewusst die körperlichen Symptome: Erlaube dem Zittern, stärker zu werden, die Atmung unregelmässiger zu werden, dem Herzschlag zu beschleunigen.

  • Dann lasse das Gegenteil geschehen: werde größer, atme ruhiger, lasse deinen Körper sich kraftvoll bewegen und Raum einnehmen

  • Wenn du willst, gib jedem Zustand einen Charakter: „Ich bin die Angst und ich schütze dich vor…“ vs. „Ich bin die Freiheit und ich…“.

  • Wechsel zwischen diesen Zuständen hin und her und führe einen inneren Dialog zwischen ihnen.


Diese Übung kann auf der Bühne (z.B. Klassenvorspiel) oder imaginativ durch die Vorstellung einer unangenehmen Bühnensituation geübt werden. Nutze für den positiven Gegenpol eine starke, positive Erinnerung aus deiner Biografie (am besten nicht-musikalisch). So nutzt du den Körper als Zugang zum Unbewussten und integrierst Anteile, die bisher im Hintergrund blieben. Beobachte auch hier genau, welche Emotionen, Gedanken oder Erinnerungen in dier Auftauchen.



3. Rollenexperimente: "Alternative Musiker-Selbsts"

Psychologischer Hintergrund: Du bist nicht nur Musiker:in. Jeder Mensch spielt in unterschiedlichen Lebensbereichen und sozialen Kontexten verschiedene Rollen. Und selbst Deine Musiker:innen-Rolle darf variieren. Wir sind nicht auf ein einziges Musiker:innen-Selbst festgelegt.


Dies zu beobachten und zu erleben kann sehr erhellend und erleichternd. Dabei hilft die Übung zu "Alternative Musiker-Selbsts"


So funktioniert’s:

  • Male dir verschiedene Versionen von dir als Musiker:in aus: den „Unbeschwerten Musiker“, die „Experimentelle Musikerin“, die „Spirituelle Künstler:in“

  • Welche Werte hat diese Person, welches Repertoir spielt sie typischerweise, wer sind ihre Freunde, was für Lebenserfahrungen hat sie gemacht, hat sie ein Lieblingszitat (Motto) oder einen bevorzugten Dresscode auf der Bühne?

  • Vor dem Spielen „springe“ in eine dieser Identitäten.

  • Frage dich: „Wie würde diese Version von mir an die Musik herangehen?“

  • Spiele bewusst aus dieser Perspektive und lass die unterschiedlichen Versionen ins Gespräch kommen.


Übe das bereits beim Üben des Stückes und wechsle zwischen verschiedenen Musiker:innen-Selbsts je nach Stück oder Stimmung oder Konzertformat. So erweiterst du deine Ausdrucksmöglichkeiten und befreist dich von starren Selbstbildern wer du sein sollst, bist oder warst.



Veränderung beginnt im Übungsraum

Die Übungen dieses zweiten Teils von "Mentaltraining für Musiker" helfen, festgefahrene Selbstbilder zu lockern und ungenutzte Potentiale zu aktivieren.

Jeder bewusste Bruch mit gewohnten Reaktionsmustern ist ein Schritt hin zu größerer kognitiver Flexibilität – einer der wichtigsten Faktoren für psychische Gesundheit und künstlerische Leistungsfähigkeit.

Die eigentliche Veränderung deines musikalischen Selbst beginnt nicht auf der Bühne, sondern im Übungsraum. Dort, wo du den Mut fasst, alte Programme zu beobachten und hinterfragen. Wo du lernst, dass Perfektion nicht das Ziel ist – sondern lebendiger, authentischer Ausdruck.



Das Schönste dabei: Diese Arbeit wirkt über die Musik hinaus. Wenn du lernst, dysfunktionale Muster im Musizieren zu verändern, überträgt sich diese innere Flexibilität auch auf Beziehungen, Beruf und Selbstbild – ja, auf dein ganzes Leben. Denn wenn du lernst, mit deinen Mustern beim Musizieren umzugehen, lernst du auch, mit den aufkommenden Emotionen, Gedanken, und Handlungsimpulsen in anderen Lebensbereichen klar zu kommen.



Ausblick auf Teil III


Im dritten Teil geht es weiter mit der bewussten Umprogrammierung deines musik-psychologischen Muster. Dabei lernst du, wie du Körperreaktionen neu interpretierst und biografische Spuren kreativ umschreibst. Mit Ansätzen aus Embodiment, Schemaforschung und moderner Neuropsychologie erfährst du, wie tief verankerte Programme nicht nur gelockert, sondern nachhaltig in hilfreiche Bahnen gelenkt werden können. So entsteht mehr innere Freiheit – mit positiven Effekten für künstlerische Präsenz, Beziehungen und Selbstbild.




Mehr lesen:

(Schemata bei Musikerinnen und Musikern)



Wenhart T. Mental Stark, psychisch gesund - Konzeption von Schema-Workshops für Musiker:innen und Musiklehrkräfte. 2024 DOI: 10.13140/RG.2.2.21773.51686

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In diesem Blog geht es um die vielfältigsten Themen aus dem Grenzbereich zwischen Musikermedizin & Musikphysiologie, Mentale Gesundheit, Neurowissenschaft der Musik, Musikpsychologie, Audiologie & Gehörschutz. Die kurzen Beiträge sollen das mentale und physische Schutzschild der Musizierenden stärken, helfen, Musik als Schutzzauber im Sinne einer Medizin für den Geist gesundheitsfördernd einzusetzen und auch einfach unterhalten.

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