Mentaltraining für Musiker I: Drei kraftvolle Übungen für mentale Stärke – und ein Blick hinter die Kulissen deiner Muster
- Dr. Teresa Wenhart
- vor 7 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Mentale Stärke ist kein Zufallsprodukt, sondern trainierbar wie ein Instrument. Lampenfieber und Selbstzweifel haben oft tief verankerte Ursachen in sogenannten Schemata – automatischen Denk- und Gefühlsmustern. In diesem Artikel zeige ich dir drei bewährte Übungen aus Atemtraining, Visualisierung und Ressourcenanker, die sofort wirken und gleichzeitig den Boden für nachhaltige Reflektion und Veränderungen bereiten.

Als Musiker:in kennst du das sicher: Die Technik sitzt, die Stücke sind einstudiert, aber im entscheidenden Moment – sei es auf der Bühne oder im Proberaum – macht dir dein Kopf einen Strich durch die Rechnung. Lampenfieber, Selbstzweifel oder mangelnde Konzentration können selbst die beste Vorbereitung zunichtemachen.
Die gute Nachricht: Mentale Stärke lässt sich trainieren wie ein Instrument. Mit gezielten Übungen kannst du lernen, deine Gedanken zu steuern, Nervosität in positive Energie umzuwandeln und deine Konzentration zu schärfen. Doch um echte Veränderungen zu erreichen, reicht es nicht, nur „ein bisschen entspannter“ zu werden. Oft wirken im Hintergrund tief verankerte Denk- und Gefühlsmuster, sogenannte Schemata, die unsere Reaktionen automatisch steuern.
Bevor wir darauf eingehen, hier drei bewährte Techniken, die du sofort anwenden kannst:
Mentaltraining für Musiker
1. Die 4-7-8 Atemtechnik: Ruhe in Sekunden
Wann verwenden: Bei Lampenfieber, vor Auftritten oder wenn du dich überwältigt fühlst.
So geht's:
Atme 4 Sekunden lang durch die Nase ein
Halte den Atem 7 Sekunden an
Atme 8 Sekunden lang durch den Mund aus
Wiederhole 3–4 Zyklen
Diese Technik aktiviert dein parasympathisches Nervensystem und bringt deinen Körper binnen Minuten in einen entspannten Zustand. Besonders wirkungsvoll ist sie, wenn du sie regelmäßig übst – nicht erst, wenn der Stress bereits da ist.
2. Mentale Probe: Visualisierung des perfekten Auftritts
Wann verwenden: Täglich während der Vorbereitung auf Auftritte oder schwierige Passagen.
So geht's:
Schließe die Augen und stelle dir vor, wie du das Stück fehlerfrei spielst
Visualisiere nicht nur die Bewegungen, sondern auch die Klänge, das Gefühl des Instruments und deine Körperhaltung
Stelle dir vor, wie du souverän und entspannt auftrittst
Spüre das Erfolgsgefühl nach einer gelungenen Performance
Übe diese „mentale Probe“ 5–10 Minuten täglich
Studien zeigen, dass Visualisierung die gleichen Gehirnregionen aktiviert wie das tatsächliche Musizieren. Du trainierst also buchstäblich, ohne dein Instrument in der Hand zu haben.
3. Der Anker-Moment: Selbstvertrauen auf Knopfdruck
Wann verwenden: Vor Auftritten, in schwierigen Momenten oder bei Selbstzweifeln.
So geht's:
Erinnere dich an einen Moment, in dem du besonders gut gespielt hast und dich großartig gefühlt hast
Verbinde diese Erinnerung mit einer einfachen Geste (z. B. Daumen und Zeigefinger zusammendrücken)
Wiederhole diese Verbindung mehrmals: Erinnerung + Geste
Übe das regelmäßig, wenn du entspannt bist
In Stresssituationen aktivierst du dann einfach deine Geste und rufst das positive Gefühl ab
Dieser „Anker“ funktioniert wie ein mentaler Shortcut zu deinem Selbstvertrauen. Je öfter du ihn in entspannten Momenten übst, desto zuverlässiger wird er in kritischen Situationen.
Warum diese Techniken allein Oft nicht ausreichen
Die neurowissenschaftliche Erklärung: Automatische Programme im Gehirn
Vielleicht hast du es schon erlebt: Du machst Atemübungen, visualisierst, erinnerst dich an positive Momente – und trotzdem bleibt der Kloß im Hals oder der innere Kritiker wird lauter. Der Grund liegt darin, dass mentale Blockaden nicht nur aus Nervosität bestehen, sondern aus tiefen Mustern deines Gehirns.
Was Standard-Mentaltraining für Musiker übersieht: Deine Herausforderungen beim Musizieren sind neurologische Manifestationen automatischer Verhaltensprogramme. In der Performance-Situation werden diese Muster aufgrund des physiologischen Stresses und der Bewertungssituation blitzschnell aktiviert. Dein Gehirn reagiert auf den situativen Stress mit der Reaktivierung von Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, die früh in ähnlichen Situationen gelernt und im Gehirn gespeichert wurden – selbst wenn du technisch perfekt vorbereitet bist. Diese Strukturen entstehen durch wiederholte emotionale Erfahrungen und werden im impliziten Gedächtnis gespeichert. Was ursprünglich als Schutzfunktion diente, sabotiert uns manchmal später im Leben.
Musiker:innen entwickeln - wie alle Menschen - Denk- und Gefühlsmuster. Bei Musiker:innen kommen bestimmte psychologische Muster besonders häufig vor (Schemata bei Musikern - psychologische Muster erkennen und Selbstkompetenz stärken). Solche Muster entstehen durch wiederholte prägende Erfahrungen – unangemessen vorgetragene Kritik im Unterricht, Vergleiche mit anderen, Leistungsdruck, soziale Schwierigkeiten – und graben sich als automatische Programme in dein neuronales Netzwerk ein.
Der entscheidende Durchbruch liegt nicht im positiven Denken, sondern in der bewussten Dekonstruktion automatischer Reaktionsmuster. Jede Unterbrechung einer gewohnten Denkschleife schwächt die entsprechenden neuronalen Bahnen und ermöglicht neue Verknüpfungen.
Mentales Training als Arbeit an deinen neuronalen Mustern
Die oben genannten Übungen sind nicht nur „Tricks gegen Lampenfieber“. Sie wirken direkt auf deine Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, neue Verknüpfungen zu bilden. Jedes Mal, wenn du deine Atmung regulierst, visualisierst oder einen positiven Anker setzt, unterbrichst du alte Denkschleifen und stärkst alternative Bahnen.
Aber: Schemata, die sich über Jahre gebildet haben, verschwinden nicht über Nacht. Es braucht Geduld, systematisches Üben – und manchmal auch die Begleitung durch Coaching oder Therapie, um tief sitzende Muster wirklich zu verändern.
Coming soon - Mehr dazu bald in Mentaltraining II und III ;-).
Dein nächster Schritt
Beginne mit den drei Übungen und beobachte genau, welche inneren Stimmen und Muster sich dabei bei dir melden (Siehe auch: Die Hitparade inner Kritiker bei Musikern - und wie du sie zum Schweigen bringst). Kommt sofort eine perfektionistische Stimme? Hast du Angst, die Kontrolle oder Zuneigung zu verlieren? Oder taucht der alte Gedanke auf, „es nie gut genug zu machen“?
Jedes bewusste Erkennen ist bereits ein kleiner Durchbruch. Denn der Weg zu echter mentaler Stärke führt nicht über das Verdrängen, sondern über das Erkennen, Integrieren und Neu-Gestalten deiner inneren Programme.
Siehe auch: Schemaarbeit bei Musikern
Der Mut zur Tiefe
Dieser erste Teil des Mentaltrainings erfordert Mut – den Mut, unter die glatte Oberfläche zu schauen und zu erkennen, dass deine musikalischen Blockaden oft Fenster zu tieferen Themen sind. Es ist nicht immer bequem, aber es ist der einzige Weg zu echter Veränderung.
Im nächsten Teil werden wir noch unkonventionellere Wege erkunden, wie du mit diesen Erkenntnissen arbeiten und neue neuronale Bahnen schaffen kannst. Denn wahre mentale Stärke entsteht nicht durch das Vermeiden schwieriger Gefühle, sondern durch ihre Integration und Transformation.
Mehr lesen:
(Schemata bei Musikerinnen und Musikern)
Interview mit der Deutschen Orchestervereinigung Unisono: https://uni-sono.org/wp-content/uploads/2024/11/2024-11-28-Huebsch-im-Interview-mit-HIldebrandt-und-Wenhardt-2024.pdf
Wenhart T. Mental Stark, psychisch gesund - Konzeption von Schema-Workshops für Musiker:innen und Musiklehrkräfte. 2024 DOI: 10.13140/RG.2.2.21773.51686
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