Selbstmanagement für Musiker: Psychologie trifft Business
- Dr. Teresa Wenhart
- 1. Juni
- 6 Min. Lesezeit
In einer Branche, in der musikalische Performance, Fleiss und Talent oft als alles entscheidend gelten, wird ein Faktor noch immer unterschätzt: Selbstmanagement. Ob du auf der Bühne stehst, unterrichtest oder deine Musik produzierst – als Musiker:in führst du nicht nur ein kreatives Projekt, sondern ein ganzes Unternehmen: dich selbst.
In diesem Artikel zeige ich dir, wie du psychologisches Know-how, Business-Skills und Coaching-Tools nutzen kannst, um deine Karriere aktiv zu gestalten – von der mentalen Stärke bis zur strategischen Positionierung.

Man könnte mich fragen, woher ich eigentlich meine zu wissen, wie Musiker:innen sich selbst managen und vermarkten sollten. Schliesslich bin ich zwar musikalisch hoch ausgebildet, aber muss damit nicht mein Geld verdienen, ich habe also im Musik-Business keine eigene Erfahrung. Dennoch habe ich gegenüber vielen Musikberatern bzw. Coaches, die aus dem Musik-Business kommen zwei Vorteile:
Erstens, ich habe Psychologie studiert und man lernt in dem Studium viel über Sozial-, Wirtschafts- und Organisationspsychologie. Und Zweitens arbeite ich seit Jahren in der Industrie in einem Unternehmen, in dem man täglich mit Marketing und Unternehmensstrategien zu tun hat sowie regelmässig Weiterentwicklungs-Kursenwie z.B. Projektmanagement, Personal Branding oder Emotional Intelligence absolviert.
Viele von den Techniken, die man in der klassischen industriellen "Karriere" der freien Marktwirtschaft lernt, kann man sehr gut auf den Musikbetrieb übertragen. Psychologische Strategien können helfen, in einer hoch kompetitiven und unsicheren Branche resilient zu bleiben und sich selbst nicht zu verlieren.
1. Warum Selbstmanagement für Musiker essenziell ist
Vielleicht geht es dir als Musikerin wie mir als Wissenschaftlerin: du bist von der Sache überzeugt, und möchtest alles darein stecken und dich nicht mit dem Business- und Marketing-Kram beschäftigen. Gute Arbeit spricht doch für sich, oder? Leider reicht das selten aus und im Gegensatz zu einem Unternehmen, haben die meisten freischaffenden Musiker:innen keine eigene Marketing- und Kommunikationsabteilung und Projektmanager, die Ziele und Zeitpläne koordinieren (von Konzertreise-Plänen mal abgesehen).
Selbstmanagement bedeutet, bewusst mit deinen Ressourcen – Zeit, Energie, Emotionen und Fokus – umzugehen. Für Musiker*innen ist das besonders wichtig, weil:
die Anforderungen hoch und oft unstrukturiert sind,
künstlerisches Schaffen mit unregelmäßigem Einkommen einhergeht,
Selbstzweifel und Perfektionismus häufig auftreten,
und klassische Ausbildung oft keine unternehmerischen Inhalte vermittelt.
2. Psychologische Aspekte: Mentale Stärke Entwickeln
Viele Musiker:innen kämpfen mit Leistungsdruck, Versagensängsten und Impostor-Syndrom. Hier helfen Erkenntnisse aus der Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung:
Selbstwirksamkeit stärken
Glaubst du wirklich, dass du durch dein eigenes Handeln Einfluss nehmen kannst? Wer hohe Selbstwirksamkeitserwartung hat, trifft klarere Entscheidungen und bleibt motivierter.
💡 Tipp: Halte regelmäßig Rückblick auf Erfolge, Feedbacks und Herausforderungen. Was hast du aktiv dazu beigetragen? Setze dir erreichbare Ziele und reflektiere über das Ergebnis.
Umgang mit inneren Antreibern
Glaubenssätze wie „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich darf keine Fehler machen“ sabotieren oft den kreativen Flow. In Coaching-Ansätzen wie der Schemaarbeit lernst du, innere Kritiker zu identifizieren und umzulenken.
💡 Tipp: Dankbarkeitstagebuch - täglich 1-3 Stichworte zu notieren, wofür man dankbar sein könnte, wenn man wollte, hilft gegen depressive Symptome und negative Gefühle bzw. Selbstkritik. z.B. ein gutes Treffen oder Gespräch mit jemanden, ein Kaffee in der Sonne, Lob, Komplimente oder wertschätzende, aufmerksame Aussagen von anderen etc.
Emotionale Intelligenz: Emotionale Regulation trainieren
Eine der wichtigsten Fähigkeiten für jedes Business ist emotionale Intelligenz - eine Fähigkeit, die in vielen Branchen oft unter "Soft Skills" belächelt wird, dabei ist sie für Karrieren in vielen Berufen nachweislich entscheidender als kognitive Intelligenz. Emotionale Intelligenz umfasst die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen, konstruktiv damit umzugehen und auch die Emotionen anderer Menschen einfühlsam zu lesen und darauf angemessen zu reagieren (Empathie). Für Musiker:innen ist das Gold wert: Ob beim Umgang mit Kritik, bei Auftritten, in der Zusammenarbeit oder beim Netzwerken – wer sich selbst gut regulieren kann, reagiert nicht impulsiv, sondern handelt bewusst. Emotionale Intelligenz ist kein „Nice-to-Have“ – sondern ein Erfolgsfaktor für jede künstlerische Laufbahn.
Mehr findest du hier: Emotionale Intelligenz - die unterschätzte Superkraft bei Musikern
Ausgleich und soziale Integration
Viele Musiker:innen fokussieren sich seit früher Kindheit stark und oft fast ausschliesslich auf diese eine Tätigkeit. Aus der Musikermedizin ist bekannt, dass diese einseitige Ausrichtung erheblichen Druck erzeugt und bei Erkrankungen oder anderen Vorkommnissen, die eine Pause erzwischen, häufig keine weiteren Säulen (wie Hobbies oder Freunde ausserhalb von Kolleg:innen) im Leben der Personen gibt. Es ist daher sehr zu empfehlen, trotz des intensiven Berufs weitere Interessen und insbesondere auch soziale Kontakte zu pflegen.
3. Business-Tricks aus der Industrie
Musikalisches Können reicht heute oft nicht aus. Wer als Musikerin sichtbar und wirtschaftlich erfolgreich sein will, sollte sich an den Strategien moderner Unternehmerinnen orientieren:
Zeitmanagement mit Fokus
Wenn wir in Unternehmen Projekte planen, giobt es nicht nur Projektmanager, die grössere Launches koordinieren, sondern diese grossen Projekte werden in kleinere Teilprojekte unterteilt und diese durch kurz-, mittel- und langfristige Ziele strukturiert. Basierend darauf werden dann häufig zugehörige Aufgaben definiert.
Auch Konzerte, Vorbereitung auf Vorspiele oder Festivalorganisation sind Projekte, die man in solche Ziele und Aufgaben unterteilen kann.
💡 Tipp: Nimm dir einen Kalender, ein Bullet Journal oder einen Gantt-Chart zur Hand und teile die verfügbare Zeit entsprechend der Ziele und Zwischenziele ein. Erstelle auch Wochenpläne mit festen Zeitfenstern für Üben, Kreation, Business und Regeneration oder etabliere Routinen (z.B. morgens 8-9 Mails beantworten, x-xx üben, etc.).
Diese Routine, wiederkehrende Aktivitäten zur selben Zeit durchzuführen, hilf gegen das Prokrastinieren und das "Students"-Syndrom (= erst unter Druck kurz vor der Deadline anzufangen).
Prioritäten setzen: Das Eisenhower-Prinzip
Eine der effektivsten Methoden aus dem Zeit- und Prioritätenmanagement, die ich aus meiner industriellen Arbeit mitgenommen habe, ist das Eisenhower-Prinzip. Es unterscheidet Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit in einer Vier-Felder-Tafel – und hilft, nicht ständig in den Reaktionsmodus zu geraten. Für Musiker*innen bedeutet das konkret: Nicht jede Mail, jede Bewerbung oder jede Übe-Idee muss sofort erledigt werden.
💡 Tipp: Frage dich regelmäßig:
Ist diese Aufgabe wichtig UND dringend? → Sofort erledigen.
Wichtig, aber nicht dringend? → Planen.
Dringend, aber nicht wichtig? → Delegieren oder automatisieren.
Weder wichtig noch dringend? → Streichen.
So schaffst du Freiraum für kreatives Arbeiten – ohne dich im Stress zu verlieren.
Positionierung: Wofür stehst du? (und wofür nicht)
Finde eine klare künstlerische Identität. Welche Emotionen, Werte oder Geschichten transportierst du mit deiner Musik? Wer bist du als Person und was macht dich einzigartig - mit allen anderen Facetten deiner Persönlichkeit abseits von Musik? Es geht dabei nicht um Markenzeichen im klassischen (oft visuellen) Sinne, sondern im psychologischen Sinn.
💡 Tipp: Finde heraus, was dich einzigartig macht und strahle es aus. Das schafft Charisma und Wiedererkennung – und zieht Publikum wie Veranstalter*innen an, weil es dich als Person individuell erlebbar, nahbar und einzigartig macht.
Vielleicht bist du der charmante Chaot, der Ensemble-Partner und Veranstalter gut unterhält und eine inspirierende Stimmung verbreitet? Oder du bist eine Nichen-Nerdin, die sich ganz auf spezifisches Repertoir oder eingeschränkte Epochen oder Komponist:innen konzentriert? Welche Werte lebst du in Arbeit und Privatleben und was interessiert dich persönlich über die Musik hinaus (z.B. Umweltschutz, Gleichstellung, Menschenrechte)? Bist du die Marathon laufende Mandoline oder der blockflötende Bücherwurm?
Mehr findest du hier: Bühnencharisma - Ausstrahlung und Authentizität auf der Bühne
Ziele SMART definieren
Einer der größten Gamechanger aus dem Businessbereich ist die SMART-Methode zur Zielsetzung. Gerade Künstler:innen formulieren oft große Visionen („Ich will mit meiner Musik Menschen berühren“) – aber es fehlt an konkreten Handlungsschritten. SMART steht für:
Spezifisch: Was genau willst du erreichen?
Messbar: Woran erkennst du, dass du dein Ziel erreicht hast?
Attraktiv: Ist das Ziel motivierend für dich?
Realistisch: Ist es umsetzbar mit deinen Ressourcen?
Terminiert: Bis wann willst du es erreichen?
Ein Beispiel: „Ich nehme bis Ende Oktober eine dreiteilige EP auf, inklusive professionellem Mix & Master, um sie auf Spotify zu veröffentlichen.“ – statt: „Ich will mehr veröffentlichen.“ Mit klaren Zielen wächst deine Motivation – und deine Wirksamkeit.
Mehr findest du hier: SMART - psychologisch wirksame Ziele für musikalischen Erfolg
4. Fazit: Du bist Künstler*in – und Führungskraft
Aus meiner Teilzeit-Tätigkeit in der Industrie weiss ich, was es bedeutet, Leadership zu übernehmen – auch ohne Führungsverantwortung im klassischen Sinne. Leadership beginnt bei der Selbstführung: Ziele klar definieren, Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und dabei andere mitnehmen können. Für Musikerinnen bedeutet das: Du bist die Führungskraft deines eigenen kreativen Unternehmens. Wenn du mit Veranstaltern, Ensembles oder Projektpartnerinnen arbeitest, hilft dir ein klarer, empathischer Kommunikationsstil, Struktur und Vertrauen aufzubauen. Leadership bedeutet nicht, den Ton anzugeben – sondern den Raum zu schaffen, in dem Entwicklung möglich ist.
Mehr findest du hier: Psychologische Selbstführung - wie du dich selbst besser managen kannst
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